Fast eine gerade Linie auf der Landkarte: Erfurt, Weimar, Gera. Die Landeshauptstadt Thüringens und Weimar als Kulturhauptstadt Europas, sind bekannte Größen. Gera, Ziel der Wiesbadener Theaterfreunde auf einem Ausflug nach Ostthüringen, arbeitet daran, seine Bedeutung als kulturelles Zentrum wieder im Gedächtnis der Nation zu verankern. Dabei half eine kundige Stadtführerin, wie sie den Wiesbadener Reisenden – alle samt Theaterfreunde, unter der Führung von Helmut Nehrbaß – in Gera über den Weg lief: Sie verwies auf annährend hundert Villen aus der Gründerzeit, von Industriellen erbaut, manche entlang der Weißen Elster. Mitte des 19. Jahrhunderts war Gera mit seiner Tuchindustrie eine der reichsten Städte Deutschlands.
Und Landeshauptstadt des Fürstentums Reuß. Der Adel baute sich eine barocke Orangerie. In der waren aktuell Gemälde und Werke auf Papier von Otto Dix zu bewundern. Das Leben des Malers, berühmtester Sohn der Stadt, wurde in einer Multimedia-Installation dargestellt. Dazu die erstaunliche Bandbreite des Werks – von den lasziven Großstadtbildern aus dem Berlin der 20er Jahre bis zum weithin unbekannten Dix, der Heilige und Kinder porträtierte oder auf Postkarten mit Bleistift die Verhältnisse in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs dokumentierte.
Nicht weit von der Orangerie entfernt, am anderen Ende eines Parks, eines des ältesten und größten Theater Thüringens – ehemals fürstliches Hoftheater, heute Fünfspartenhaus. Von seinem Förderverein wurden die Wiesbadener gut betreut. Der Geraer Theaterverein bot einen überaus herzlichen Empfang und machte es möglich, die Premiere der selten aufgeführten Oper „Die toten Augen“ von Eugen d’Albert mitzuerleben. Im Zuschauerraum auch Nachfahren des französisch-englischen Komponisten, die aus der Schweiz angereist waren.
Teil des schönen Theaters ist ein Konzertsaal mit ausgezeichneter Akustik, in dem die Wiesbadener Werke von Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus genossen – Musik zur Passionszeit. Das Streichquartett mit Violinen, Viola und Violoncello schuf wunderbare Klänge. Faszinierend die Interaktion zwischen den Musikern, die im Dialog miteinander standen.
Wie gut ein Theaterzelt als temporäre Bleibe funktionieren kann, erlebten die Reisenden im benachbarten Altenburg. Das Städtchen liegt an der Via Imperii, wichtiger süd-nördlicher Handelsweg, und besitzt wie Gera eine glanzvolle Vergangenheit. Luxusartikel wurden in Altenburg hergestellt, wie elegante Zylinder oder prachtvolle Spielkarten. So eine munter plaudernde Stadtführerin. Sie kam in ihr Städtchen zurück, um festzustellen, dass nur noch die Hälfte der einst 55 000 Menschen geblieben sind. Die junge Frau lobte ein PPP-Projekt der Stadtverwaltung: „So kann es gehen.“ In „Public-Private Partnership“ mit einem Investor baue man eines der vielen zu groß gewordenen Häuser am Marktplatz zu einer Herberge für junge Reisende um, damit die nach Altenburg kommen. In den 1990er Jahren waren sie schon mal in Scharen da. Diese Geschichte erzählt der Theaterverbund Altenburg-Gera im Theaterzelt in einem Singspiel mit Ballett, das „Rhythm is a Dancer“ heißt. Es berichtet von einer Zeit, in der in Altenburg legendäre TechnoPartys gefeiert wurden, zu denen auch „Wessis“ aus dem benachbarten Göttingen übers Wochenende in Scharen anreisten. Im geschichtsträchtigen Ratskeller Altenburgs gab es Sauerbraten mit Apfelrotkohl und Klößen. Der Seniorenteller tendierte zur Familienportion. Dazu das köstliche Schwarzbier der Region – die Thüringer können stilvolle Gastfreundschaft, wie die Wiesbadener Reisenden begeistert feststellten.
Autorin: Ingeborg Toth April 2025